Trotz der frühen Aufklärung über die NS-„Euthanasie“-Verbrechen wurden diese bald verdrängt und teilweise geleugnet. Zurück in das öffentliche Bewusstsein gelangten sie erst wieder im Jahr 1981 auf Initiative des damaligen evangelischen Pfarrers F.W. Siebert. Dieser hatte mit einer Jugendgruppe die Gedenkstätte Auschwitz in Polen besucht und war dort von einem Guide auf die Taten in Idstein hingewiesen worden. Nach seiner Rückkehr wandte er sich an den damaligen Leiter des Sozialpädagogischen Zentrums (SPZ) Kalmenhof, Karl Reitinger, und den Idsteiner Bürgermeister, Hermann Müller, um auf die Verbrechensgeschichte des Kalmenhofs aufmerksam zu machen und eine Gedenkveranstaltung anzustoßen.

Daraufhin begann eine erste Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kalmenhofes. Eine einberufene Kommission beschäftigte sich mit der Frage, wie der Opfer in Idstein angemessen gedacht werden könne. Beteiligt waren unter anderem das SPZ Kalmenhof selbst, die Stadt Idstein, die katholische sowie die evangelische Kirche und der LWV. Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch viele Unklarheiten über das Ausmaß der Verbrechen, zum Beispiel über die Zahl der Opfer und die Ausmaße des Gräberfeldes hinter dem ehemaligen Kalmenhof-Krankenhaus. In diesem Rahmen entstand auch die erste, wegweisende, Forschungsarbeit von Dorothea Sick.

1983 wurde beschlossen, das Gräberfeld in eine Kriegsgräberstätte umzuwidmen. Auf dem Areal waren zwischen Oktober 1942 und Kriegsende über 350 Ermordete begraben worden. Die umgestaltete Gräberfläche mit Mahnmal wurde im Mai 1987 eingeweiht. Das Mahnmal besteht aus einem Steinrondell mit niedrigem Mauerwerk. Es bildet einen Dreiviertelkreis und trägt die Inschrift: „Zur Erinnerung an die Opfer der Gewaltherrschaft. Mehr als 600 Kinder und Erwachsene aus dem Kalmenhof wurden in den Jahren 1941–1945 ermordet. Viele der Opfer liegen hier begraben. Anzahl und Lage der einzelnen Gräber sind unbekannt.“ Am Ende des Gräberfeldes steht ein später aufgestelltes, stählernes Mahnkreuz mit der Inschrift „Zur Erinnerung an die Opfer der Verbrechen im Kalmenhof/Idstein während der Zeit des Nationalsozialismus“.

1988, zum 100-jährigen Bestehen des Kalmenhofs, erschien ein Sammelband von Christian Schrapper und Dieter Sengling zur Geschichte des Kalmenhofs. Außerdem wurde die Ausstellung „Erziehbar – Bildbar – Brauchbar“ erstellt. Diese wurde später überarbeitet und 1997 im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes der heutigen Vitos Teilhabe (dem historischen Hauptgebäude des Kalmenhofs) eröffnet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit der NS-Zeit. Trotz dieser Impulse gelang keine dauerhafte Gedenkarbeit.

Nachdem 2016 das ehemalige Krankenhausgebäude veräußert werden sollte, kam es zu Protesten. Es formierte sich ein bürgerschaftliches Engagement. Der daraus entstandene Verein Gedenkort Kalmenhof e.V. forderte die Einrichtung eines Gedenkortes und aktive Gedenkarbeit in Idstein. Dr. Harald Jenner und Christoph Schneider wurden von Vitos Rheingau beauftragt, die Geschichte rund um den Kalmenhof und das Gräberfeld in intensivem Quellenstudium zu erforschen. Auf Grundlage der Ergebnisse entschieden die Vitos gGmbH und der LWV, dass auf dem Gelände rund um das Krankenhaus und im Dachgeschoss des Gebäudes zukünftig der Gedenk- und Lernort Kalmenhof entstehen soll.

Langezogene Grasfläche. Im Hintergrund ist ein Kreuz aufgestellt.
Blick auf das Gräberfeld. Foto: Bettina Müller

Literatur: Harald Jenner, Christoph Schneider (2018): Abschlussbericht des Forschungsprojekts zur Erhebung sowie Interpretation der historischen Kerndaten zum Verbrechenskomplex Kalmenhof, insbesondere der Lokalisierung der Tötungszimmer der „Kinderfachabteilung“ sowie der vermuteten Gräberfelder auf dem Kalmenhof, hier online verfügbar.

Dorothea Sick (1983): „Euthanasie“ im Nationalsozialismus am Beispiel des Kalmenhofs in Idstein im Taunus, Frankfurt.