Bald nach der Befreiung der Heilerziehungsanstalt Kalmenhof im März 1945 wurden erste Ermittlungen angestellt und Befragungen durchgeführt. Es bestand der Verdacht, dass auf dem Kalmenhof „Zöglinge“ vorsätzlich getötet und schwer misshandelt worden waren. Ein Jahr später übergab die Staatsanwaltschaft Wiesbaden den Fall an den zuständigen Frankfurter Oberstaatsanwalt.

Im sogenannten „Kalmenhof-Prozess“ wurden im November 1946 schließlich der stellvertretende Direktor und Verwaltungsleiter Wilhelm Großmann, der Arzt Hermann Wesse, die Ärztin Mathilde Weber, die Krankenschwester Aenne Wrona, ein Pfleger sowie ein weiterer Angestellter der Heilerziehungsanstalt angeklagt. Eine weitere Haupttäterin, die Krankenschwester Maria Müller, und auch der Anstaltsdirektor Ernst Müller hatten sich durch Flucht der Verhandlung entzogen.

Im Fokus der Verhandlungen im Januar 1947 standen die Verbrechen rund um die „Kinderfachabteilung“ auf dem Kalmenhof. Die Morde an erwachsenen „Zöglingen“ und Patientinnen und Patienten des Kalmenhofs waren nicht Teil des Verfahrens.

Die Angeklagten versuchten sich aus der Verantwortung zu ziehen: Die Entscheidung über Leben und Tod hätten nicht sie, sondern der Berliner „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung für erb- und anlagebedingte schwere Leiden“ getroffen. Insbesondere Weber verfolgte außerdem die Strategie eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen. Sie versuchte, das Gericht glauben zu machen, von den Verbrechen nichts gewusst zu haben.

Wesse, Weber und Großmann wurden in erster Instanz zum Tode verurteilt, die weiteren Angeklagten erhielten Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen. Bis auf einen Angeklagten gingen alle Verurteilten in Revision. Währenddessen setzten sich Bürgerinnen und Bürger der Stadt Idstein und Umgebung mit einer Unterschriftenaktion für Mathilde Weber ein. Man könne sich nicht vorstellen, dass Weber sich an „solchen Untaten“ beteiligt habe.

1948 bestätigte das Gericht lediglich das Urteil gegen Wesse. Die anderen Urteile wurden aufgehoben und die Fälle an das Landgericht Frankfurt zurückverwiesen. Weber und Großmann wurden 1949 schließlich vom Schwurgericht Frankfurt zu dreieinhalb beziehungsweise viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Krankenschwester Wrona wurde freigesprochen. Großmann trat seine Strafe aus gesundheitlichen Gründen gar nicht erst an und auch Weber verbüßte insgesamt lediglich zwei Drittel ihrer Strafe. Wesse, der in einem weiteren Prozess wegen seiner Verbrechen in der „Kinderfachabteilung“ in Waldniel 1948 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden war, blieb am längsten in Haft. Er wurde 1966 wegen Haftunfähigkeit entlassen.

"Aktendeckel mit dem Text: "Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt/Main Strafsache gegen Grossmann & Andere wegen Beihilfe zum Mord""
Aktendeckel der Strafprozessakte des Kalmenhof-Prozesses von 1947, Foto: HHStAW Bestand 461 Nr. 31526/4

Literatur: Harald Jenner, Christoph Schneider (2018): Abschlussbericht des Forschungsprojekts zur Erhebung sowie Interpretation der historischen Kerndaten zum Verbrechenskomplex Kalmenhof, insbesondere der Lokalisierung der Tötungszimmer der „Kinderfachabteilung“ sowie der vermuteten Gräberfelder auf dem Kalmenhof, hier online verfügbar.

Matthias Meusch (1997): Die Frankfurter „Euthanasie“-Prozesse 1946-1948. Zum Versuch einer umfassenden Aufarbeitung der NS-„Euthanasie“, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte Band 47, S. 253-286.